Hubertus – das strahlende Rentier

Weit im Norden – dort, wo der Schnee unendlich viel weißer ist und die Nächte länger und dunkler sind als bei uns – leben die Rentiere. Jedes Jahr sucht der Weihnachtsmann dort die schnellsten und stärksten ihrer Art, auf dass sie ihm helfen, den gewaltigen Schlitten mit all den unzähligen Geschenken durch die Luft zu ziehen.

Hier war vor langer Zeit auch eine ganz besondere Rentierfamilie beheimatet. Eine Familie, die fünf Rentierkindern das Leben schenkte. Das Jüngste war ein ganz besonders aufgewecktes und lebhaftes kleines Kerlchen mit Namen Hubert – und immer, wenn es sich aufregte und sein Herzchen ganz schnell klopfte, strahlten seine Zähne in dem reinsten und hellsten Weiß, das die Welt je gesehen hatte.

Es war ganz egal, ob Hubert glücklich oder wütend war, seine Zähne strahlten mit dem Glitzern der Sonnenstrahlen auf dem reinen, weißen Schnee um die Wette. Seine Eltern und seine Geschwister liebten seine wunderschönen und ganz besonderen Zähne, doch im Rentierkindergarten regierte Neid und Gespött: „Da kommt Hubert mit den strahlenden Zähnen!“, hänselten sie ihn gemein, während sie mit ihren Hufen auf ihn zeigten. Und in der Rentierschule wurde es sogar noch viel, viel schlimmer.

Konnte er seine Freude beim Versteckspiel nicht verbergen, so klopfte sein Herz und die entblößten Zähne strahlten so intensiv, dass er jedes Mal sofort entdeckt und erneut gehänselt wurde. Hubert versuchte also nun mit allen Mitteln, strahlend weiße Zähne zu verbergen, indem er nur noch mit dem Huf vor der Rentierschnauze oder – besser noch – gar nicht mehr lächelte. Doch jedes Mal, wenn er sprechen und auf die Fragen der Rentierlehrer antworten wollte, leuchteten seine Zähne wie die Sterne am tiefschwarzen Nachthimmel. Seine Klassenkameraden lachten fürchterlich, doch Hubert rannte nach Hause und weinte bitterliche Tränen: „Ich werde nie wieder in diese blöde Rentierschule gehen! Nie wieder!“, rief er. Seine Eltern und Geschwister wussten sich keinen Rat mehr.

✵ Der Besuch des Weihnachtsmannes ✵

Irgendwann wurden die Tage wieder kürzer und die Nächte länger. Ein recht untrügliches Zeichen für den bevorstehenden Besuch des Weihnachtsmannes. Alle Rentiere putzten sich heraus, mit gestriegelten Fellen und glänzenden Geweihen stolzierten sie im Schnee des nordischen Winters umher. Dutzende von Rentiere scharrten ungeduldig mit den Hufen und stießen schaurige Rufe aus, um die anderen Rentiere zu beeindrucken.

Auch der wunderschöne Hubert befand sich unter diesen Rentieren, um der Ankunft des Weihnachtsmannes beizuwohnen. Dann, endlich, traf dieser mit seinem Schlitten – gezogen allein von Donner, dem Leittier – im Weihnachtsdorf ein. Der Weihnachtsmann ließ nicht viel Zeit verstreichen und machte sich sofort ans Werk: Er beäugte jedes einzelne Tier und murmelte dabei einige unverständliche Worte.

Für Hubert verging eine halbe Ewigkeit und als der Weihnachtsmann endlich bei ihm ankam, klopfte sein Herz so sehr, dass er gar nicht anders konnte, als ihn mit seinem strahlendsten Lächeln zu begrüßen. Der Weihnachtsmann lächelte zurück, schüttelte dabei aber traurig den Kopf: „Du bist wunderschön, kräftig und auch groß. Du bist sicher stark genug, den schweren Schlitten zu ziehen, doch du könntest die Kinder mit deinen strahlenden Zähnen verschrecken. Leider kann ich dich nicht einsetzen“, bedauerte es der Weihnachtsmann aufrichtig.

✵ Die Elfe mit den wackelnden Ohren ✵

Hubert war so traurig, dass er blindlings davon lief. Er rannte in den Wald, um seine Wut und Enttäuschung dort ungestört herauszubrüllen. Angelockt von dem lauten Geschrei und dem immer wieder aufblitzenden Strahlen erschien eine kleine Elfe. Sie legte ihre Hand sanft auf Huberts Schulter und fragte: „Was ist dir nur zugestoßen, das dich so verzweifeln lässt?“

„Siehst du es denn nicht?“, schniefte Hubert traurig. „Meine Zähne strahlen so weiß, niemand möchte mit mir gesehen werden!“

„Ja, das kommt mir bekannt vor“, erwiderte die kleine Elfe. „Ich wollte mit den Elfen im Weihnachtsdorf arbeiten, doch jedes Mal, wenn ich aufgeregt bin, wackeln meine Ohren – und der Weihnachtsmann mag keine wackelnden Ohren.“

Hubert sah auf und schenkte der Elfe einen intensiven Blick. Was er sah, war eine wunderschöne Elfe mit Ohren, die sich wie der Flügelschlag eines Vogels hin und her bewegten.

„Ich heiße Huberta“, erklärte die Elfe plötzlich ganz schüchtern. Und als sie sich beide so betrachteten – der eine mit strahlenden Zähnen, die andere mit wackelnden Ohren – da mussten sie plötzlich losprusten und lachen, bis die Bäuche schmerzten.

So fand eine wahrhaft wundervolle und tiefe Freundschaft ihren Anfang …

✵ Weihnachten steht vor der Tür ✵

Weihnachten näherte sich mit Riesenschritten. Huberta und Hubert trafen sich inzwischen regelmäßig und erzählten sich gegenseitig von dem beschäftigten Treiben um sie herum. Dabei schien allerdings niemand zu bemerken, wie sehr sich das Wetter mit jedem neuen Tag verschlechterte.

Am Abend vor Weihnachten überbrachte die Wetterfee dem besorgten Weihnachtsmann einen sehr ungünstigen Wetterbericht: „Ich werde morgen nicht einmal die Rentiere sehen, die meinen Schlitten ziehen – wie soll ich da nur zu den Kindern gelangen?“, grübelte er.

 

© Leonid & Anna Dedukh - Fotolia, Rentier✵ Und die Moral von der Geschicht‘: Strahlend weiße Zähne eröffnen ungeahnte Chancen! ✵

Diese Sorgen raubten dem Weihnachtsmann den Schlaf. Immer und immer wieder dachte er über eine Lösung nach, schließlich stand er auf, zog sich warm an und spannte Donner vor den Schlitten, um auf der Erde nach der rettenden Idee zu suchen. Doch schon während seines Fluges setzte ein starker Schneefall ein. Die Flocken fielen so dicht vom wolkenverhangenen Himmel, dass weder der Weihnachtsmann noch Donner irgendetwas vor sich erkennen konnten. Da bemerkte er unter sich ein strahlend weißes Licht – so wunderschön wie nichts, was er je zuvor gesehen hatte.

„Hallo du“, rief der Weihnachtsmann, „was für strahlend schöne Zähne du hast! Magst du mir nicht helfen und vor dem Schlitten laufen, um mir den Weg zu den Häusern der Kinder zu weisen?“

Hubert erschreckte sich über diese Worte des Weihnachtsmannes so sehr, dass seine Zähne heller strahlten als je zuvor. Es dauerte eine Weile, bis er seine Fassung zurückerlang und antworten konnte: „Furchtbar gerne, lieber Weihnachtsmann! Es wäre mir eine große Ehre, doch wie soll ich den Weg zurück finden, wenn es noch mehr schneit?“

Und da kam ihm die Idee: „Warte bitte kurz, Weihnachtsmann, ich bin sofort zurück!“

Kurz darauf kehrte Hubert mit einer Elfe aus dem Wald zurück, deren Ohren aufgeregt hin und her wackelten. „Mit ihren wackelnden Ohren hält sie den Schnee von uns fern“, schlug das Rentier dem Weihnachtsmann vor. „Außerdem kennt sie den Weg besser als ich!“

Der Weihnachtsmann war einverstanden, mehr noch: Er war begeistert. Und so geschah es, dass der Weihnachtsmann an diesem und an allen anderen Weihnachtstagen von einem Rentier mit strahlend weißen Zähnen und einer Elfe mit wackelnden Ohren begleitet wurde. Alle anderen Rentiere entschuldigten sich für ihr unfaires Verhalten Hubert gegenüber und beglückwünschten ihn zu seinem Erfolg.

Und irgendjemand muss sie wohl gesehen haben: den Weihnachtsmann, seinen Schlitten, Hubert und Huberta – sonst gäbe es heute keine Legende von dem Rentier mit seinen strahlend weißen Zähnen!

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